Kommentar zur CSRD Entwicklung. Zuletzt aktualisiert: Juni 14, 2025
Als Head of Sustainability bei Code Gaia bringt Phillip über 20 Jahre praktische Erfahrung im Umwelt- und ESG-Management von Unternehmen mit. Als erfahrener Spezialist für Nachhaltigkeitsmaßnahmen und -berichte von Unternehmen war er maßgeblich an der Entwicklung und Umsetzung innovativer Ansätze für doppelte Wesentlichkeit, digitale Berichterstattung und die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften beteiligt. Phillip steht an vorderster Front, wenn es darum geht, Lehren aus den aktuellsten Best Practices und Forschungsergebnissen im Bereich Nachhaltigkeit zu ziehen und diese für Unternehmen auf konsistente und verständliche Weise nutzbar zu machen.
Jüngste Entwicklungen in Brüssel zeigen: Der Weg zur Umsetzung einer „vereinfachten“ CSRD ist alles andere als entschieden. Hinter den Kulissen spielt sich ein politischer Machtkampf ab zwischen jenen, die Entlastungen für europäische Unternehmen fordern, und jenen, die darin eine Verwässerung der Bekenntnisse zur grünen Transformation der EU sehen.
Die politische Landschaft: Gegensätzliche Visionen, widersprüchliche Interessen
Während die CSRD im Laufe des Jahres 2025 durch den mit dem „Omnibus“-Verfahren verbundenen Gesetzgebungsprozess geht, wird deutlich, dass sich keine einheitliche Vision für ihre Zukunft durchgesetzt hat.
Eine detaillierte Matrix von Vorschlägen verschiedener politischer Fraktionen, veröffentlicht Anfang Juli 2025, illustriert, wie zersplittert das Meinungsbild ist. Zentrale politische Akteure – von der Europäischen Kommission über das Europäische Parlament und die Europäische Zentralbank bis hin zu einzelnen Europaabgeordneten – vertreten teils stark abweichende Positionen hinsichtlich Umfang, Schwellenwerten und Tiefe der Nachhaltigkeitsberichterstattung.
Im Zentrum der Debatte steht eine grundlegende Frage: wie weit sollte die EU mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung gehen und wie schnell sollte sie dabei vorgehen?
Technokraten und Politiker: Konkurrierende Logiken und Positionen
Der „Omnibus“-Vorschlag der EU-Kommission verfolgt einen pragmatischen Ansatz. Ziel ist es, die Belastung für Unternehmen zu verringern, indem die Schwellenwerte angehoben und die Zahl der berichtspflichtigen Unternehmen auf etwa 10.000 reduziert wird – deutlich weniger als ursprünglich vorgesehen. Diese Maßnahme wird als Abbau von Bürokratie und Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit Europas in einem schwierigen globalen Umfeld dargestellt.
Doch nicht alle Akteure sind einverstanden. Einige Unternehmen, Finanzinstitutionen und Europaabgeordnete – insbesondere aus den Reihen der Grünen/EFA und progressiven Fraktionen – argumentieren, dass dieser Ansatz den ursprünglichen Sinn der CSRD untergräbt und das Tempo der europäischen Nachhaltigkeitspolitik bremst.
Die Autoren der sogenannten „Dual Scope“-Ansätze (u.a. Prof. Dr. Ulrike Stefani und Carsten Ernst) schlagen einen differenzierten Mittelweg vor: Unternehmen mit 500–1.000 Mitarbeitenden sollen nach einem reduzierten Berichtssystem berichten, während größere Unternehmen weiterhin dem vollen ESRS-Regime unterliegen.
Diese Kompromissmodelle versuchen, den Spagat zwischen Entbürokratisierung und hoher Berichtsqualität zu meistern – doch auch sie stoßen auf Widerstand von verschiedenen Seiten.
Was bei den Zahlen auf dem Spiel steht
Der Kern des Streits liegt in den Definitionen der Schwellenwerte:
- Aktuelle CSRD-Vorgabe: Berichtspflicht bei Überschreitung von zwei der drei Kriterien: 25 Mio. € Bilanzsumme, 50 Mio. € Umsatz, 250 Mitarbeitende.
- Vorschlag der EU-Kommission: Erhöhung der Mitarbeitendenschwelle auf 1.000 – damit würden deutlich weniger Unternehmen in den Anwendungsbereich fallen.
- EPP (Mehrheit im Parlament): Anheben des Schwellenwerts auf 3.000 Mitarbeitende und €450 Millionen jährlicher Umsatz.
- Dual-Scope-Modelle: Plädieren für Erhalt niedrigerer Schwellen (z.B. 250 oder 500 Mitarbeitende), gekoppelt mit vereinfachten ESRS für Unternehmen mit weniger als 1000 Mitarbeitenden, möglicherweise ähnlich dem nie finalisierten LSME-Standard.
- EZB-Vorschlag: Unterstützt den Dual-Scope-Ansatz mit je 500 und 1.000 Mitarbeitenden.
Jeder Vorschlag spiegelt eine andere politische Priorität wider: Entweder es geht um Entlastung mittelständischer Unternehmen – oder um die Sicherstellung einheitlicher Transparenz auf dem EU-Markt.
Warum der Ausgang noch ungewiss ist
Die aktuellsten Zusammenfassungen (Stand Anfang Juli 2025) zeigen: Ein politischer Konsens ist noch nicht in Sicht. Die endgültigen Vorschläge des EU-Parlaments werden erst im Oktober erwartet; die Trilogverhandlungen sind für November angesetzt. Damit bleibt auch die endgültige Ausgestaltung der CSRD – und mit ihr wesentliche Elemente der künftigen Nachhaltigkeitsregulierung in Europa – in der Schwebe.
Trotz der Omnibus-Behauptungen über mehr Sicherheit bleiben durch das Hin und Her in dieser Frage einige der Unsicherheiten bestehen, die die EU-Kommission ursprünglich beseitigen wollte. Unternehmen, die im Jahr 2024 mit der Berichterstattung begonnen haben (Wave-1-Unternehmen), sowie Unternehmen, für die die Fristverlängerung gilt, fragen sich immer noch, auf welchen Berichtsumfang sie sich vorbereiten sollen und welche Schwellenwerte gelten werden, wenn sich der Staub gelegt hat.
Ein Moment der strategischen Besinnung
Eines ist in dieser Phase der Unsicherheit klar: Die Entscheidung über die künftige Ausgestaltung der CSRD wird nicht allein auf Basis technischer Argumente gefällt. Sie wird beeinflusst durch politische Überlegungen zu wirtschaftlicher Resilienz, Regulierungsaufwand und Europas Rolle als Vorreiterin einer globalen Nachhaltigkeitstransformation.
Ganz gleich, ob Sie Nachhaltigkeitsbeauftragter, CFO, politischer Entscheiderin oder ESG-Analystin sind – die Botschaft lautet: Wachsam bleiben. Die nächsten sechs Monate werden entscheidend dafür sein, wie Europa das Verhältnis von Ambition und Pragmatismus im Bereich Nachhaltigkeit reguliert.
Bis dahin gilt: Die CSRD ist kein abgeschlossenes Gesetz, sondern ein aktives politisches Ringen.




